Vom Primarlehrer und Punkrocker zum Bio-Bauer

Im ehemaligen Pferdestall und Proberaum, dort wo Urs Marti früher mit seiner Band Punkrock spielte, treffe ich den Landwirt zum Gespräch. Im Januar sind die pensionierten Kühe auf dem Lebenshof jeweils in den Ställen und essen glücklich ihr Futter – wobei sie mich gespannt beäugen. Urs meint lachend und Kuno Lauener zitierend: «Sie leben bei uns unter der Auflage, alt und fett und glücklich zu werden». Ihre Aufgabe: Sie spenden ihre Ausscheidungen als Düngemittel für die Äcker. So kann der Nährstoffkreislauf mit hofeigenem Dünger geschlossen werden. Und sie sorgen für eine schöne Aura auf dem Hof. «Tierleidfrei», das ist die Devise auf dem Bio-Hof Hübeli. Seine Eltern seien skeptisch gewesen: Ein Hof ohne Nutztiere? Urs und seine Frau Leandra zeigen nun aber eindrucksvoll, wie ein Betrieb tierleidfrei Nahrung produzieren und gleichzeitig auch rentieren kann.

Breit aufgestellt

«Linsen statt Fleisch, Polentamais statt Futtermais und ein Gemüse-Abo für die Vitamine», so erklärt Urs sein Gesamtkonzept. Das Angebot soll alle Nährstoffe abdecken und optisch überzeugen. Verschiedenfarbige Maissorten, Dinkel, Linsen und Produkte wie Gries und Teigwaren sind im Hofladen vorrätig. Hinzu kommt eine Alternative zu dem, was die Milchkühe früher produzieren mussten: Die erste, mit Schweizer Rohstoffen produzierte Bio-Hafermilch!

Hafer, Wasser und Salz: Hafermilch in Bio-Qualität aus der Schweiz

Urs und Leandra starteten die hauseigene Produktion im Herbst 2020. «Wir tranken schon lange Hafermilch, haben uns aber geärgert, dass kein Produkt aus Schweizer Rohstoffen erhältlich war», meint Urs, und erzählt über Leandra: «Meine Frau ist eine Macherin». Sie habe bei der Entwicklung der hauseigenen Natur- und Barista-Hafermilch die Federführung übernommen. Es ist weniger süss als vergleichbare Produkte, findet Urs – und auch seine Kundschaft. Fast alle Grundstoffe kommen aus der Schweiz. Nur das Sonnenblumenöl gebe in der verwendeten Form leider hier (noch) nicht. Die Herstellung im ehemaligen Milchraum übernimmt Roland, ein Mitarbeiter. 400 Liter pro Woche: Dabei werden die Zutaten nach Hübeli Geheimrezept in die mit Solarstrom betriebene Maschine gegeben, gemischt und pasteurisiert. Dann füllt Roland das frische und malzig riechende Getränk von Hand ab. Das Hafergetränk ist in Halbliter- oder Literglasflaschen erhältlich. Seit einiger Zeit hat Urs den Vertrieb abgegeben, dennoch werden die Glasflaschen weiterhin lokal und primär im Kanton Bern vertrieben und nach der Rückgabe auf dem Hof gewaschen.

Dämpfen und Darren

Wird nur eigener Hafer verarbeitet? «Wir arbeiten daran», meint Urs. Es sei schwierig, Verarbeitungsbetriebe zu finden, die kleine Mengen annehmen. Der Hafer ist sehr klebrig und muss vor der Verarbeitung zu Hafermilch gedämpft und gedarrt, also getrocknet oder geröstet werden. Diese Arbeit kann nicht auf dem Hof verrichtet werden und wird von Biofarm übernommen. Dabei wird auch Bio-Hafer aus anderen Betrieben verarbeitet. So kann nicht garantieren, dass nur Hafer vom Hübeli zurückkommt. Urs ist zuversichtlich: Er will in Zukunft mit einer Mühle zusammenarbeiten, die auch Hafer verarbeitet.

Bio-Hafermilch Natur

Wasser, Hafer (10%), Salz
Pasteurisiert, 3 Wochen haltbar

Bio-Hafermilch, Barista, schäumbar

Wasser, Hafer (10%), Sonnenblumenöl, Salz
Pasteurisiert, 2 Wochen haltbar

Bezugspunkte sind beispielsweise der Hallerladen in Bern und Rüedu – dein Quartierladen um die Ecke, aber auch Dorfläden in Aarberg und Umgebung, gar ins Kichererblis Unverpackt nach Grosshöchstetten wird geliefert.

Nährstoffe bleiben erhalten

Die Hafermilchvariante «Natur» ist drei, «Barista» zwei Wochen haltbar. Das ist relativ kurz. Für Urs ist wichtig, dass möglichst viele Nährstoffe erhalten bleiben. «Je höher du erhitzt, desto mehr tötest du ab», erklärt er. Und sein Haferdrink wird eben nicht ultrahoch erhitzt, sondern pasteurisiert. Eventuell trägt auch die transparente Glasverpackung zur etwas kürzeren Haltbarkeit bei. Es wird auf Zusätze verzichtet und nur vegan zertifizierte Enzyme zugegeben. Diese spalten einen Teil der Kohlenhydrate, was zu einer gewissen Süsse führt. Das Wichtigste aber: Man erhält ein sehr natürliches Produkt. Und auch wenn die «Hafermilch» eigentlich «Haferdrink» genannt werden sollte: Urs wird sein Produkt weiterhin als Milch bezeichnen. Den er findet, es soll klar sein, was es ist.

Solawi – Solidarische Landwirtschaft

Das neuste Projekt: Mitarbeit auf dem Hof – im Gegenzug gibt’s ein Gemüse-Abo: Wer mitarbeitet, zahlt weniger. Urs will Konsumentinnen und Konsumenten zeigen, wo ihr Essen herkommt und was dahinter steckt. Und die tatkräftige Mitarbeit soll die zwei verantwortlichen Gemüse-Gärtnerinnen auf dem Hof ab Juni 2023 dabei unterstützen, 150 Haushalte mit Gemüse zu beliefern. Das Gesamtkonzept entspricht dem Ideal einer solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Eindrücklich und sehr überzeugend: Hört man Urs zu, merkt man, mich welchem Wissen, Verständnis und Herzblut er sich für eine nachhaltige, innovative und zukunftsorientierte Bio-Landwirtschaft einsetzt. Er tut vieles, um ein diverses und tierfreundliches Vorbild für die Landwirtschaft der Zukunft zu sein.

Urs Marti ist auf dem Hübeli in Kallnach aufgewachsen. In seiner ersten Berufung unterrichtete er 15 Jahre lang als Primarlehrer, dann bildete er sich berufsbegleitend zum Landwirt weiter. Im Jahr 2019 übernahmen seine Frau Leandra und er den Hof seiner Eltern, wobei für das Paar die Umstellung auf Bio-Landwirtschaft die Grundvoraussetzung war. Sie ernähren sich vegan; eine nachhaltige und vielfältige Bewirtschaftung des eigenen Landes ohne Tierleid steht für die beiden im Zentrum. Mit viel Engagement und Pioniergeist haben die beiden als quereinsteigende einen Hof mit Tierpension, innovativem Ackerbau und hauseigener Hafermilchproduktion aufgebaut.

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