Bis anhin wurde von Vermeidung von Food Waste gesprochen – nun hat sich für die Verarbeitung von Resten und Abfällen bei der Lebensmittelproduktion ein neuer Begriff durchgesetzt: die Nebenstromverwertung. Damit soll auch der Wertschätzung dieser Art von Lebensmitteln Rechnung getragen werden, so BFH-HAFL-Direktorin Ute Seeling bei der Eröffnung des 3. Bio-Gipfels. Auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried unterstrich in seinem Grusswort die Wichtigkeit, möglichst Vieles zu verwerten. Die Stadt Bern produziere nach wie vor jährlich 40’000 Tonnen «Food Waste», was es zwingend zu reduzieren gelte. Doch dazu brauche es Innovation. Deshalb setzte man am diesjährigen Bio-Gipfel auf Design Thinking: Produkte werden entwickelt, ausprobiert, verbessert.
Molkedrink und Treberburger
So ist auch das Unternehmen Wheycation der Lebensmittel-Ingenieurin Doris Erne entstanden. Selbst ein aktiver Mensch hat sie Proteinshakes für Sportlerinnen und Sportler unter die Lupe genommen und festgestellt, dass die Rohstoffe dafür meist aus dem Ausland kommen – obwohl in Schweizer Käsereien jährlich 1,8 Millionen Tonnen Molke anfallen. Früher einmal als Wellnessprodukt für Entschlackungskuren beliebt, geriet die Molke lange in Vergessenheit. Zu Unrecht, findet Doris Erne.
Christoph Nyfeler von der Schweizer Mälzerei steht mit seinem Nebenstrom-Produkt, Burgers aus Biertreber, vor einem anderen Problem. Denn noch stuft das Bundesamt für Umwelt Treber als Abfallprodukt ein und damit als nicht für die menschliche Ernährung geeignet. Das möchte Christoph Nyfeler gerne ändern, da es sich aus seiner Sicht keineswegs um ein Abfallprodukt handelt, sondern um die Möglichkeit, schmackhafte Halbfabrikate aus Biertreber herstellen zu können.
Hülsenfrüchte-Hack und Gemüseschweine
Mit Herausforderungen zu kämpfen hatte auch Adrian Koller von Protaneo. Erst mit der Idee seiner Frau, die Ernährung auf vegetarisch und vegan umzustellen, kam die Erkenntnis, dass es in der Schweiz keinen Verarbeiter für Erbsen und Bohnen gibt. Zum Glück kam ihm die Groupe Minoteries SA (GMSA) zu Hilfe und hat eine solche Anlage gebaut; nun kann Koller Halbfabrikate wie Burgers, Hackbraten oder Bolognese herstellen. Probleme brachte auch das Projekt «Das Gemüseschwein» zu Tage, bei dem die FiBL-Schweineexpertin Mirjam Holinger und Martin Koller von Terraviva mitgewirkt haben; dabei wird Gemüse an Schweine verfüttert. Zwar schätzten die Schweine – abgesehen vom Fenchel – die Abfälle aus der Schweizer Gemüseproduktion; doch hat sich herausgestellt, dass sich die Fettqualität der Schlachttiere verschlechtert hat, was zu Abzügen für den Produzenten führte. Gemüseabfälle haben zudem einen grossen Nachteil: Sie wiegen viel und machen den Transport teuer. Im Sinne von Design Thinkings wird überlegt, ob das Gemüse künftig vorgetrocknet werden könnte, um Gewicht einzusparen.
Lernfeld und Alternativmedizin
Zwei landwirtschaftliche Betriebe zeigten ihre Innovationen: Viviane Brönnimann und Jonathan Bracher erzählten von der Neuorientierung des Betriebs Farngut in Grossaffoltern, der sich nach einer langen Phase des Knoblauchanbaus neuen Betriebszweigen öffnet und etwa auch eine «Gemüse-Flatrate» und ein Gemüse-Abo anbietet. Das Team plant zudem ein acht Hektare grosses «Lernfeld» mit rund 120 Kulturen.
Der Wydihof in Unterseen hat sich der antibiotikafreien Milchproduktion verschrieben und setzt auf alternative Medizin. Das hat gemäss Luzi Etter den zusätzlichen Vorteil, dass kaum Antibiotika in den Boden gelangen und somit die Bodenaktivität nicht beeinträchtigt wird. Diese Umstellung habe auch viel Mut und Know-how gebraucht, zudem müssten Problemkühe konsequent von der Zucht ausgeschlossen werden.
Mut war unter anderem das, was den ganzen Bio-Gipfel 2023 prägte. Denn ohne Mut keine neuen Ideen und Ansätze. Und damit auch keine innovativen Lebensmittel aus Nebenströmen.
Auf der Webseite des Bio-Gipfels findest du weitere spannende Insights des Events und erfährst, wann der vierte Bio-Gipfel 2024 stattfindet.